Aus dem Bauch heraus

Aus dem Bauch heraus - Diese Überschrift ist mehr als doppeldeutig:

Artikel von Mag. Maria Grossauer
Fotos: Petra Rautenstrauch/Kollektiv Fischka

Seit nämlich Felix aus „meinem Bauch heraus ist“ höre ich viel mehr auf ihn, diesen meinen Bauch. Und ich lerne seit diesem Tag auch das „los lassen“ in einer mir bis dahin unbekannten Dimension.
Und hätte mir jemand vor 7 Jahren gesagt, dass ich richtig glücklich mit einem Kind mit Down-Syndrom sein werde, ich hätte das sicher nicht geglaubt (um es milde auszudrücken). Aber es ist so. Ich bin glücklich mit meinem Kind mit Down-Syndrom.

Mein Kinderwunsch kam erst relativ spät – ich spürte bewusst, dass es eine riesengroße Verantwortung für mich bedeutet, ein Kind großzuziehen. Vielleicht musste ich aber auch noch für dieses spezielle Kind reifen, das ich bekommen habe. Seitdem jedenfalls staune und lerne ich, bin immer wieder berührt von dem, was dieser einzigartige Felix mir beibringen kann.

Wie es begann

Schon mit Beginn der Schwangerschaft musste ich feststellen, dass dieses kleine Wesen in meinem Bauch mein bisheriges strukturiertes und kontrolliertes Leben gehörig ins Wanken brachte. Eigentlich eh ein Wunder, dass ich bis dahin (vermeintlich?) alles unter Kontrolle hatte. Immerhin war ich schon 35 Jahre auf dieser Welt. Ich muss aber zugeben, dass die schwierigsten Zeiten in meinem Leben, schon immer die waren, von denen ich am meisten lernen konnte und in denen sich am meisten bewegte. Wenn es solche Momente gab, nahm ich sie relativ schnell an und wunderte mich ebenfalls immer, dass mindestens gleich viel Gutes dem Schlechten ausgleichend gegenüberstand. Wahrscheinlich war mein Leben bis dahin ein guter Lehrmeister, der mich auf die Ankunft von Felix in mein Leben vorbereitete.

Nahezu niemand sehnt sich nach richtigen schweren Herausforderungen, die alles auf den Kopf stellen und einem den Boden unter den Füßen wegziehen. Aber wenn sie kommen und man sich ihnen stellt, dann wird man mehr als belohnt.

Im Nachhinein weiß ich, dass ich Felix schon lange herbeigesehnt habe. Das war auch einer der beruhigendsten Gedanken, als ich mich in der Zeit nach der Geburt gefragt habe: Warum? Warum bekomme ausgerechnet ich ein Kind mit Down-Syndrom? Ich stellte mir diese Frage nicht leidend oder selbstbemitleidend, sondern ich wollte wirklich eine Antwort. Und die bekam auch sofort aus meinem Inneren: dieses Kind wollte zu mir, dieses Kind gehörte zu mir, das Kind selbst war die Antwort. Dieses kleine Wesen macht mich „ganz“.

Aus dem Hamsterrad aussteigen?

Berufliche Anerkennung und Erfolg war mir sehr wichtig, ich wollte immer alles gut und richtig machen.

Mit Unternehmen, bei denen ich arbeitete, musste ich mich identifizieren können. Und es war mir auch ein Anliegen, dass ich etwas Sinnvolles und Gutes bewirke. Und auch die Menschen im Unternehmen im Unternehmen waren mir manchmal fast noch wichtiger als das was ich dort getan habe. Und doch machte ich Erfahrungen wie es ist in einem Hamsterrad (für mich) sinnlose und teilweise haarsträubende materielle Ziele zu verfolgen. Weil es das Unternehmen, die Gesellschaft so will. Und wenn man in so einem Hamsterrad drinnen ist (das von innen betrachtet übrigens wie eine Karriereleiter aussieht ;-)), dann ist es nicht leicht, sich da herauszunehmen und es mit einem neutralen Blick von oben zu betrachten. Trotzdem hatte ich oft das Gefühl: „was machst Du da, warum machst Du das, willst Du das wirklich?“

Irgendetwas fehlte, auf irgendetwas wartete ich. Ich war nicht fähig, aus eigenem Antrieb einen anderen Weg einzuschlagen.

Felix bahnt sich seinen Weg

Die junge Ärztin, die den Ultraschall in der 20. SSW durchführte, holte einen Kollegen zu Hilfe. „Siehst Du auch, was ich sehe?“ hörte ich sie fragen. „Ja, Golfballphänomen“ war die Antwort. Daraufhin wurde noch der Ober-Pränatal-Spezialist geholt, und ab diesem Moment herrschte eine bedrohliche und bedrückende „Stimmung“. Die Ärzte teilten uns mit gesenkten Köpfen mit, dass sie aufgrund der gesetzlichen Bestimmungen dazu verpflichtet seien, darauf hinzuweisen, dass es eine statistische Wahrscheinlichkeit für die Möglichkeit von Down-Syndrom gäbe. Ein sogenannter Softmarker zwar, aber statistisch relevant.

An diesem besagten Tag spürte ich Felix übrigens zum ersten Mal ganz deutlich aktiv strampeln, er stieß den Ultraschallkopf mit der Hand der untersuchenden Ärztin richtiggehend weg. Es war so auffällig, dass wir schon lachen mussten. Als würde er uns sagen wollen: „Lasst mich doch endlich in Ruhe, es ist alles in Ordnung“. Auch das Ultraschallbild, das wir von dieser Untersuchung mitnahmen, zeigt einen Fötus, der einen Daumen hoch streckte. „Alles gut, Mama und Papa, keine Sorge“. An diese Momente musste ich denken, als ich mir die Warum-Frage direkt nach der Geburt stellte und vor Rührung und Glück kullerten bei mir dann jedes Mal die Tränen. Dieser kleine Kerl wollte auf die Welt kommen. Zu mir. Zu uns. Er hatte sich uns als Eltern ausgesucht. Und in diesem Moment wandelte sich auch die Warum-Frage in ein warmes geborgenes Gefühl der Dankbarkeit und eine tiefe Zufriedenheit durchströmte mich. Alles ist in Ordnung.

Die Geburt als Neustart

Nach dem er die Nabelschnur durchtrennt hatte, sagte mein Mann Marcus: „der sieht ja aus wie dein Vater“. Und ich dachte mir nur: „Na bravo!“ Dass er das Down-Syndrom auch schon erahnt hatte, sagte er mir nicht. Das sah ich dann selber, als Felix mir auf die Brust gelegt wurde. Ein von den Geburtsanstrengungen aufgequollenes kleines bläuliches Wesen. Riesige verschwollene Hände. Schräge schlitzförmige Augen. „Das ist Down-Syndrom! Das war also mein Kind? Das war mein Kind? Mit Down-Syndrom. So sieht mein Kind aus? Es ist tatsächlich ein Kind mit Down-Syndrom aus mir herausgekommen?“ Das waren meine ersten Gedanken.

Dann habe ich einige Stunden später mein Kind angeschaut und das Down-Syndrom war nicht im Vordergrund. Wenn man einen kleinen Menschen vor sich sieht, ihn spüren kann, ihn wahr nimmt, dann ist das etwas ganz anderes, als die Worthülse „Down-Syndrom“, die so oft mit Ängsten, Unwissenheit und Ablehnung verknüpft ist.

Das Down-Syndrom hat mein Kind vielleicht sogar zu etwas Besonderem gemacht, es hat mir den Zugang zu meinen Gefühlen wieder geöffnet. Das (vermeintlich) „schlimme Monster“ Down-Syndrom als positive Tatsache in meinem Leben zu integrieren, hat mir Zugang zu Gefühlen verschafft, die ich nicht für möglich gehalten hätte.

Als hätte jemand einen Reset-Knopf gedrückt, meine bisherigen Einstellungen, Werte und Verhaltensweisen überprüft, gelöscht und neu geordnet. Ein Neu-Start, der mir ohne Down-Syndrom vermutlich nicht in dieser Dimension gelungen wäre. Weil ich zwar gewusst habe, dass etwas nicht stimmt, etwas fehlt und ich etwas anders machen möchte – aber ich hatte nicht den Mut oder die Energie dazu.

Jetzt lehrt mich mein Kind jeden Tag im Jetzt und Hier zu leben, mit weniger Druck weniger Ängsten ohne „Müssen“, mit mehr „Wollen“. Einfach tun. Das fliegt mir natürlich nicht immer in den Schoß, aber ich arbeite dran und ich lebe bewusst. ;-). Die größte Herausforderung ist das Loslassen, nicht alles kontrollieren zu wollen/müssen. Das Schicksal hält so einige Ereignisse im Leben parat auf die man nicht vorbereitet ist und die man vielleicht nicht bestellt hat, aber ein Kind mit Down-Syndrom zu bekommen sehe ich eher als verstecktes Riesen-Geschenk (für mich alles andere als ein Schicksalsschlag), man muss es „nur” annehmen und unter die Verpackung schauen wollen.

dieser Artikel erschien in der Zeitschrift “Leben Lachen Lernen” Heft 53, August 2014
Fotos: Petra Rautenstrauch/Kollektiv Fischka

Felix mit Mama
Felix und Mama lachen sich an