Therapeutisches Reiten

Hippotherapie Heilpädagogisches Voltigieren Behindertenreiten

Therapeutisches Reiten gliedert sich in folgende 3 Sparten:

  • Die Hippotherapie ist eine spezielle physiotherapeutische Maßnahme, bei der das Pferd und dessen dreidimensionale Rückenbewegung unter medizinischen Gesichtspunkten eingesetzt wird. Durchgeführt wird sie von speziell ausgebildeten PhysiotherapeutInnen mit Zusatzausbildung.
         
  • Beim Heilpädagogisches Voltigieren steht vor allem die individuelle, ganzheitliche – d.h. die körperliche, emotionale, geistige und soziale – Förderung über das Medium Pferd im Vordergrund. Es wird versucht die Entwicklung, das Befinden und das Verhalten des Reiters günstig zu beeinflussen.
          
  • Das Behindertenreiten vermittelt den sportlichen Aspekt des therapeutischen Reitens und wird von ReitlehrerInnen mit Zusatzausbildung durchgeführt.

Heilpädagogisches Voltigieren

von Doris Schopper

Unter dem aus dem sportlichen Bereich stammenden “Voltigieren” versteht man akrobatisches Turnen einer/eines Einzelnen oder einer Gruppe auf einem an der Longe (ca. 7 Meter lange Führleine, an der das Pferd von einem ausgebildeten Longeur geführt wird) galoppierenden Pferdes.

Diese Übungen sind in ihrer Grundausführung am stehenden und schreitenden Pferd auch für motorisch eingeschränkte Kinder und Erwachsene durchführbar. Alleine das Sitzen am sich fortbewegenden Pferd aber auch sämtliche Übungen trainieren das Gleichgewichts- und Antizipationsvermögen und die damit zusammenhängende Koordination der Gliedmaßen und Körperteile und zielen mit ihren komplexen Anforderungen auch in den kognitiven Bereich.

Der gravierende Unterschied zwischen dem sportlichen und dem heilpädagogischen Voltigieren liegt in der jeweiligen Zielsetzung: Bei ersterem stehen der sportliche Aspekt und eine sinnvolle Freizeitbeschäftigung im Vordergrund, während das Heilpädagogische Voltigieren zum Ziel hat, unerwünschtes Verhalten abzubauen und die Fähigkeiten im sensomotorischen, emotional-sozialen und kognitiven Bereich zu entwickeln und zu fördern.

Zielgruppen

Zielgruppen für das HPV sind verhaltensauffällige und lernbehinderte Kinder, Jugendliche und Erwachsene sowie psychisch kranke Menschen.

 

Bei dieser Methode ergeben sich durch fortwährende Sinneseindrücke, Bewegungsangebote und Bewegungserfahrungen sowie durch die ständigen Interaktionen zwischen KlientIn, Pferd, VoltigierpädagogIn und Gruppe, viele Möglichkeiten des Lernens und der Verhaltensänderung.

 

Beim Heilpädagogischen Voltigieren  werden auf der einen Seite Vertrauen, Selbstwertgefühl, Konzentration, richtige Selbsteinschätzung, und Frustrationstoleranz aufgebaut und auf der anderen Ängste abgebaut. Kooperatives Verhalten, Verantwortungsbewusstseing und sensomotorische Fähigkeiten werden gefördert. Weiters werden Gleichgewicht und Körperbeherrschung entwickelt, stabilisiert und fortlaufend erweitert, und das bedeutet: im Umgang mit dem Pferd und beim Reiten bzw. Voltigieren wird der Mensch ganzheitlich angesprochen – körperlich, emotional, geistig und sozial.

Zielsetzungen

a) Der sozial-emotionale Bereich

 

Das Voltigieren an sich ist von Anfang an ein sozialer Prozess, denn jedes Handeln beim und auf dem Pferd beinhaltet die Auseinandersetzung mit dem Lebewesen. Hinzu kommt die Beziehung zum Pädagogen/zur Pädagogin und zu den anderen teilnehmenden Kindern/Jugendlichen.

 

Ziel des sozial- emotionalen Bereiches ist das Verändern von Verhaltensmustern und die Förderung des Vertrauens und der daraus resultierenden Gruppenfähigkeit.

 

Ein wichtiger Ansatz hierfür ist der Abbau von Ängsten. Gemeint ist einerseits die Angst vor der Situation, das heißt vor dem Pferd, andererseits die Berührungsangst im Umgang mit den anderen Kindern. Die Angst vor dem Pferd ist erfahrungsgemäß für  alle Kinder überwindbar, wenn sie ausreichend Zeit und Unterstützung bekommen, sich an das Pferd “heranzutasten” (z.B.: Die Pädagogin /der Pädagoge stellt das Pferd mit Namen vor, fordert zum Angreifen auf). Berührungsängsten in der Gruppe ist oft mit Partnerübungen auf dem Pferd entgegenzuwirken (z.B.: “Du bist für deinen Hintermann eine feste Mauer, an der er sich festhalten kann, er verlässt sich auf dich”).

 

Die verschiedenen Formen des gegenseitigen Helfens  zielen auch in den Bereich des Aufbaus von Vertrauen und Selbstvertrauen. Das Voltigieren als Gruppenprozess fördert das soziale Verhalten der Einzelnen: Um aufs Pferd zu kommen, müssen sich die Kinder notwendigerweise gegenseitig helfen, was mit der Zeit selbstverständlich wird. Hilfe annehmen können, erkennen, dass man nicht alles alleine schaffen kann, ist eine ebenso wichtige Erfahrung.

 

Ein weiterer Aspekt sind die Partnerübungen auf dem Pferd: Die Kinder müssen gegenseitig viel Körperkontakt zulassen, was für diejenigen, die sich im Alltag nicht gut verstehen, eine große Herausforderung darstellt. Meist ist der Ehrgeiz, eine Übung gut zu machen größer als das Unbehagen und das gemeinsame Erfolgserlebnis schafft möglicherweise eine neue Gesprächsbasis.

 

Übungen, wie am Rücken oder bäuchlings auf dem Pferd zu liegen, fördern die Selbstkompetenz und die daraus entstehende soziale Integration. In diesen Bereich fällt auch die Förderung der Gruppenfähigkeit durch das Erlernen gegenseitiger Rücksichtnahme und Hilfsbereitschaft den anderen gegenüber. Hierbei bieten sich Gemeinschaftsspiele um das und auf dem Pferd an.

b) Der sensomotorische Bereich

 

Das vorrangige Anliegen in diesem Bereich ist es, den Kindern ein gewisses Maß an Körperbewusstsein und Selbstwahrnehmung zu vermitteln. Wesentliche Zielgebiete hierbei sind Gleichgewichts- und Koordinationsschulung. Durch gezielte Übungen können motorische Auffälligkeiten und Defizite abgebaut werden, besonders bei Übungen, die auch für den sozial-emotionalen Bereich angewandt werden, da hier oft die Ursachen von motorischen Auffälligkeiten zu finden sind.

 

Gleichgewichtsübungen wären zum Beispiel das Sitzen auf dem Pferd an sich, reiten direkt auf dem Pferderücken ohne den Gurt mit den Haltegriffen, reiten im Gelände (die Pädagogin/der Pädagoge verwendet statt der Longe einen Führstrick) – der Boden ist uneben, das Kind muss austarieren, verschiedenste Spiele mit Ball, Stofftier, Ringen, etc. – hantieren mit Kleidungsstücken und selbstverständlich sämtliche Voltigierübungen aus dem Sportbereich.

 

Koordinationsschulung: Begriffe wie “innen”, “außen”, “oben”, “unten”, “hinten”, “vorne”, “rechts”, “links” müssen einzuordnen sein, anfangs eventuell mit Hilfspunkten (vorne ist der Kopf des Pferdes, … ).

 

Übungen dazu sind zum Beispiel: Das Anfassen des linken Ohrs, Knies oder Knöchels mit der rechten Hand und umgekehrt, gleichzeitiges Armekreisen, eine Hand zeigt nach vorne, die andere gleichzeitig nach hinten, u.s.w.

c) Der kognitive Bereich

 

Jede bisher  angeführte Fördermaßnahme beinhaltet das Verstehen und Umsetzen von Anweisungen. Insofern ist ein Überlappen der einzelnen Bereiche offensichtlich und im kognitiven Bereich besonders deutlich.

 

So fördert und fordert etwa das  Benennen aller möglichen Dinge rund ums Pferd die kognitiven Fähigkeiten ebenso wie die Fähigkeit, Erlerntes auf verschiedene Situationen zu übertragen (Transferfähigkeit): (z.B.: “Wo hat dein Pferd seine Beine? Wie viele Beine hat es?- Zeig mir deine Beine! Hast du auch vier?”, … – Die eigenen Beine sehen zwar anders aus als die des Pferdes, erfüllen aber denselben Zweck.)

 

Ein wesentlicher Bestandteil ist die Förderung der Raumorientierung: Begriffe, die im Bereich der motorischen Förderung benötigt werden (oben, unten, innen, außen, links, rechts,…) erhalten nun eine weitere Bedeutung: Die Kinder begreifen mittels oben erwähnter Hilfspunkte die räumlichen Bezeichnungen und lernen, diese anzuwenden.

 

Zusammenfassend gesehen, verbinden sich beim Heilpädagogischen Voltigieren sensorisches, motorisches, soziales, emotionales und kognitives Lernen eng miteinander.